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Letzter Beitrag am12.04.2024 13:34:08

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  • KI und Gemeinden: wie passt das zusammen?AL Mag. (FH) Reinhard Haider, E-Government-Beauftragter | 12.10.2023 09:32:13 )

    E-Government – Vom und für Praktiker – Juli/August 2023


    KI und Gemeinden: wie passt das zusammen?


    Interview mit FH-Prof. Mag. DI Dr. Andreas Stöckl
    Leiter des Department Digitale Medien an der FH OÖ Campus Hagenberg
    Leiter der Forschungsgruppe Media Interaction Lab in Hagenberg
    Forscher im Bereich „Large Language Models“ und deren Anwendungen

    Das Interview führte Mag. (FH) Reinhard Haider
    Leiter des Gemeindeamtes in Kremsmünster
    E-Government-Beauftragter des Oö. Gemeindebundes
    Lektor für E-Government an der Fachhochschule in Linz


    Sehr geehrter Herr Professor, lieber Andreas,

    uns verbindet einiges, unter anderem der gleiche Jahrgang, die Begeisterung für Ausdauersport und die Möglichkeiten der Digitalisierung. Wir sind schon gemeinsam an der Startlinie von Marathon und Triathlon gestanden. Beides sehr lange Distanzen, so wie der Öffentliche Dienst ja auch langfristig ausgerichtet ist, nicht auf Sprintdistanzen. 

    Du bist Leiter und Forscher im Department Digitale Medien an der FH Hagenberg und wirst in vielen Medien zur Debatte über Künstliche Intelligenz zitiert. Wir wollen dem Zusammenhang von Künstlicher Intelligenz und Gemeinden auf den Grund gehen, daher danke für den Gesprächstermin.

    Die Quintessenz des Interviews wollen wir gleich vorweg nehmen: Die Menschen haben immer Angst vor Veränderungen, als gutes Beispiel bei der aktuellen Debatte um KI fungiert die Angst vor den Industrierobotern vor einigen Jahrzehnten, die letztlich unaufhaltsam waren und die Arbeitswelt verändert haben. KI bedeutet heute das Automatisieren von Routinearbeiten. Der Appell an die Gemeinden lautet:

    • fangt sofort mit einem agilen Ansatz an
    • nehmt die Lerneffekte mit
    • setzt dann in größeren Prozessen um

    KI befindet sich am Beginn eines Marathons

    Eingangs redeten wir daher über den Lebenszyklus der KI anhand eines Marathons. Auf die Frage, ob wir bei der KI an der Startlinie stehen, der KI gerade der berühmte „Marathon-Hammer bei km 35“ droht oder uns die KI schon niedergesprintet hat, antwortete Stöckl: „Nach meinem Gefühl befinden wir uns auf den ersten 10 km des Marathons. Die herausfordernden Teile kommen noch. Die derzeitige Diskussion zur Regulierung sind aus meiner Sicht nicht sehr zielführend. Nicht nur dass ich die praktische Umsetzbarkeit stark bezweifle, sondern es sind viele der angesprochenen Thematiken bei uns bereits jetzt gut geregelt: Schutz persönlicher Daten etc. Das benötigt keine weiteren extra Regulierungen, dafür aber klare Rahmenbedingungen.

    Die KI wird die Marathon-Ziellinie bei km 42,2 bald erreichen

    Grundsätzlich hält sich der KI-Professor bedeckt: „Es gibt keine Prognosen mehr, die über ein Jahr hinausgehen. Jetzt stehen wir vereinfacht gesagt bei „Wörter raten“. Als nächstes folgt das Text-Bild/Video-Verständnis der KI. Dann können auch Bilder und Videos ausgelesen und in Zusammenhang mit Text gestellt werden. Das erfordert allerdings eine horrende Rechenleistung. Das bremst derzeit. KI hat das Potenzial alles zu verändern und zwar in 2-3 Jahren, es wird aber wie üblich in großen Change Prozessen mindestens 10 Jahre dauern“.

    Nach diesem sportlichen Vergleich startete das eigentliche 


    Interview


    Die Künstliche Intelligenz findet zwischen genial und fatal statt. Was ist KI überhaupt und wie siehst du das im Überblick?

    Die KI-Systeme wie ChatGPT, die derzeit stark in Diskussion sind, sind Softwaresysteme, die uns helfen können, kognitive Routinetätigkeiten zu erledigen. So wie uns Maschinen helfen körperliche Arbeit zu verrichten. ChatGPT ist also ein Sprachmodell und ist nützlich. Wir fragen was wir wissen wollen und wenn es Fakten zum Thema gibt, dann erhalten wir zu 90 % gute Antworten. Es gibt heute keine 100 % mehr, das ist die alte Denkweise ohne Fehlerkultur. Die Anwendungen könnten ganz unterschiedlich sein, siehe unten. Generell ist das Bild der KI aus meiner Sicht zu stark von Science Fiktion geprägt und weniger von echtem Verständnis.

    Wir können ChatGPT aus allen Blickwinkeln sehr unterschiedlich betrachten, eines hat die Silicon-Valley Firma OpenAI geschafft, nämlich die Künstliche Intelligenz vom Hinterzimmer in aller Munde zu bringen. Nicht nur IT-Nerds haben das Thema nun im Fokus, sondern auch Wissenschaft und Politik. Damit ist es in der Gesellschaft angekommen und löst auch Angst wegen der bevorstehenden Änderungen aus. Berechtigt ?

    Die Angst entsteht wie so oft aus Unwissenheit wie die Systeme funktionieren und was sie können. Da muss Aufklärungsarbeit geleistet werden. Und der Mensch hat immer Angst vor Veränderungen, das verhindert die Änderungen aber nicht. In diesem Fall ist der direkte Vergleich mit dem Menschen (Intelligenz) das Problem. Es ist besser sich darauf vorzubereiten und sich anzupassen. In vielen Bereichen werden sich Tätigkeiten und Berufsbilder massiv verändern. Darauf müssen wir uns als Gesellschaft einstellen.

    Gemeinden und Städte bieten vielfältige Arbeitsplätze. Das reicht vom Bürojob über den Wirtschaftshof, die Schul- und Gebäudebetreuer bis hin zur Kinderbildung und -betreuung sowie anderen Sozialdiensten. Welche Chancen und Risken siehst du für unsere Arbeitsplätze ?

    Ich sehr die Chancen darin, dass wir durch KI-System Unterstützung bei kognitiven Routinetätigkeiten erhalten und dadurch Ressourcen frei werden, die in anderen Bereichen gewinnbringend eingesetzt werden können, und zwar in allen Bereichen in den mit Menschen gearbeitet wird, z.B im Sozialbereich und im Wirtschaftshof. Als Risiko sehe ich, wenn wir uns nicht schnell genug auf die neuen Technologien einstellen und anpassen.

    Welchen Einfluss wird die KI auf die Politikerinnen und Politiker von Ländern und Gemeinden haben, insbesondere bei der Entscheidungsfindung ?

    Wenn sich die Politiker durch KI-Systeme bei den Routinetätigkeiten entlasten lassen, dann haben sie mehr Zeit zum Nachdenken und Entscheidungen finden. Die gesellschaftlichen Änderungen sind das eigentliche Thema. Der Staat muss anstelle von Regulatorien ordentliche Rahmenbedingungen schaffen und kein Weltuntergangsszenario. Das ist eine wichtige Aufgabe der Politik. Und zwar jetzt gleich, nicht erst in einigen Jahren. Jetzt sollten wir mitgestalten, Angststarre macht es schlimm.

    Wie steht es um den Wahrheitsgehalt und die Zuverlässigkeit der Informationen der KI-Software wie ChatGPT, Google-Bard & Co im Vergleich zu etablierten Werken wie Brockhaus-Online und Wikipedia ?

    Die Frage ist falsch gestellt und wird auch in der Öffentlichkeit meist falsch gesehen. Diese Sprachmodelle, wie die oben genannten sind keine Wissensdatenbanken und sollten auch nicht als solche verwendet werden. Es sind spezielle Datenverarbeitungssysteme für Textdaten. Erst wenn sie zusammen mit Wissensquellen eingesetzt werden, entfalten sie ihre wahre Stärke. Derzeit werden sie oft falsch eingesetzt, aus mangelndem Verständnis über deren Funktionsweise und Möglichkeiten.

    In der Financial-Times am 1. Juni 2023 war vom Chip-Startup Graphcore zu lesen, dass es – nachdem die Computerchips nun Molekülgröße erreichen - die Computer leistungsfähiger bauen will, damit die KI-Software besser läuft und diese dann wiederum leistungsfähigere Computer bauen kann. Das klingt dystopisch und wirft die Frage nach der Existenzberechtigung der Menschen auf ?

    Die Hardware wird in den nächsten Jahren deutlich leistungsfähiger werden und damit die KI-Systeme. Wieso stellt das die Existenz des Menschen in Frage?

    Welche Herausforderungen und Bedenken müssen beim Einsatz von KI speziell im kommunalen Bereich berücksichtigt werden?

    An der Schnittstelle zum Menschen dürfen keine KI-Systeme geschaffen werden, die entweder die Menschen überfordern und die Rechte der Menschen verletzen. Das trifft immer zu, aber für die Verwaltung im Besonderen.

    Kann die KI dabei helfen, die Effizienz und Nachhaltigkeit der Gemeinde-Infrastruktur wie Kanal, Wasser und Straße, aber auch von PV-Anlagen, Abfallanlagen, Unfallhäufungspunkten oder Vermeidung von Naturkatastrophen wie Hochwasser zu verbessern?

    Ja, indem es die administrative Arbeit erleichtern und beschleunigen wird. Die KI kann auch für die Gemeinde- und Stadtentwicklung von besonderem Nutzen sein, weil sie hilft große Datenmengen zu verarbeiten und objektive datengetriebene Entscheidungen zu treffen.

    Sprachsteuerung ist stark am Vormarsch. Wie können KI-gestützte Chatbots und virtuelle Assistenten den Kundenservice und die Interaktion der Bürgerinnen und Bürger mit der Gemeindeverwaltung verbessern?

    Hier sind intelligente Systeme für den Kundenservice technisch denkbar. Das sollten aber nicht die einzigen Systeme sein, weil sonst die Zugänglichkeit für mache Zielgruppen leidet.

    Gibt es ethische Aspekte von KI, die wir im kommunalen Bereich berücksichtigen müssen, insbesondere in Bezug auf Diskriminierung und Vorurteile?

    Die derzeitigen KI-Systeme wie zum Beispiel die großen Sprachmodelle haben von uns als Gesellschaft viele Vorurteile „geerbt“ das sollte beim Einsatz bewusst sein. Autonome Entscheidungen der Systeme sind daher kritisch zu sehen.

    Wie können Gemeinden den Einsatz von KI in ihren Verwaltungsprozessen planen und umsetzen?

    Zuerst Know-how-Aufbau, um die Systeme für die Konzeption verstehen zu können. Start mit kleinen Pilotprojekten. Schnell in das Handeln kommen. Durch das E-Government wurde in den letzten Jahren viel Vorbereitungsarbeit geleistet, z.B. bei E-Formularen mit der Dateneingabe und -übergabe in die Systeme.

    Welche konkreten Vorteile und Anwendungen gibt es bereits für künstliche Intelligenz im kommunalen Bereich, für die Bürgerinnen und Bürger aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ?

    • Routinetätigkeiten, die allerdings weit gefasst sind, also von Verwaltungstätigkeit im Büroalltag bis zur Buchhaltung, über eine neue Landeshymne texten bis hin zu Marketing und Softwareentwicklung. 90 % der Verwaltungsarbeit ist Routine. Im Detail:
    • Generell Informationen strukturieren, z.B. Versicherungs-Routinefälle erledigen, qualitative Umfragen oder (Unfall)Berichte mit individuellem Text auch in tausendfacher Ausfertigung erfassen und auswerten, Berichte schreiben 
    • E-Mails automatisiert beantworten
    • Marketingkampagnen planen, Unterstützung bei der Kommunikation
    • Redengenerator ist bereits eine Standardanwendung, wird genützt von Rednern aller Art, Politikern, Priestern und auch für Trauungen.
    • Juristische Texte scannen und zusammenfassen/interpretieren
    • Publikationen erstellen
    • Papier- und PDF-Rechnungen einlesen und in Buchhaltungssysteme einspielen (was der Mensch erkennt, erkennt auch die KI)
    • Buchhaltungsdaten auswerten und Bilanzen analysieren
    • Software schreiben 
    • … und vieles mehr.



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